Es ist ein grauer Tag in Bayreuth, wie so oft hier im Winter. Doch nachmittags besiegt die Sonne für eine kurze Weile die dicke Wolkendecke. Thomas Pickel sitzt vor dem Geo-Gebäude der Universität Bayreuth. Bei diesem Wetter hält den 27-Jährigen nichts drinnen. Auf die Frage, ob er zur Zeit überhaupt schlafe, antwortet er „Eher nicht“ und lacht schallend.
Der Grund dafür: Deutschlands Insekten. Oder besser gesagt, deren Rettung. Im Oktober 2017 ging eine Studie wie ein Lauffeuer um die Welt, die besagte, dass in geschützten Gebieten ein Rückgang von 75% aller Insekten zu verzeichnen ist. „Das war für uns der Punkt, an dem wir gesagt haben, wir müssen handeln“, sagt Thomas Pickel und nippt an seiner Kaffeetasse. Gemeinsam mit acht weiteren Studienfreunden gründete der Geoökologie-Student „Summer in the City“, einen Verein für den Artenschutz. „Jahrelang haben Naturschützer versucht, auf die Problematik des Artenschwunds aufmerksam zu machen. Sie haben symbolträchtige Tiere gewählt wie den Weißstorch oder den Wolf. Es ist beinahe ironisch, dass es dann mit den kleinen Insekten geklappt hat, die Menschen aufzurütteln.“
Der Artenschwund der Insekten war immer wieder Thema in den Medien. Vor allem ein bestimmter Vertreter dieser Lebewesen ist dadurch in den Fokus gerückt: die Biene. „Insekten mögen klein sein, aber sie machen eine unglaublich große Masse aus und sind ungeheuer wichtig. In Deutschland gibt es 48.000 Arten von Tieren – 33.000 davon sind allein Insekten“, sagt Pickel. Inzwischen ist der Artenschwund in Bayern in der Debattenliste so weit nach oben gewandert, dass sich etwas grundsätzlich ändern könnte: Durch das Volksbegehren “Artenvielfalt Rettet die Bienen!“ können wahlberechtigte Bürger in Bayern ab dem 31. Januar bis zum 13. Februar darüber abstimmen, ob sie Gesetze für mehr Artenschutz in ihrem Bundesland wollen.
Diese Gesetze würden unter anderem Pestizideinsatz in Biotopen verbieten, die ökologische Landwirtschaft stärken (bis 2030 sollen 30% der Landwirtschaft in Bayern ökologisch sein) und die Randstreifen von natürlichen Gewässern schützen. „In allen anderen 15 Bundesländern in Deutschland gibt es bereits einen Schutz von 5 Metern links und rechts von natürlichen Gewässern. Dort darf kein Ackerbau stattfinden, durch den Düngemittel und Pestizide in das Wasser fließen und die dort laichenden Arten stören,“ sagt Pickel.
Er ist überzeugt, dass das Volksbegehren Erfolg haben wird. „Zwei Wochen sind keine lange Zeit“, räumt er ein. In dieser Zeit müssen bayernweit eine Million Unterschriften gesammelt werden. „Aber es hat schon zweimal bei anderen Themen geklappt, bei denen keiner dran geglaubt hat.“ Damit meint Pickel die Volksbegehren in Bayern zum Nichtraucherschutz und den Studiengebühren. Ersteres war 2010 erfolgreich und hatte zur Folge, dass Rauchen an öffentlichen Orten verboten wurde. Zweiteres schaffte im Jahr 2013 die Studiengebühren von etwa 500 Euro pro Student pro Semester in Bayern ab.
Deswegen ist Thomas Pickel auch zuversichtlich, dass sich eine Million Menschen mit ihrer Unterschrift für die Insekten in Bayern einsetzen werden. „Ein Freund von mir hat neulich im Zug aus Spaß 45 Personen befragt. Mehr als 50 Prozent wussten von dem Volksbegehren und wollen es auch unterschreiben“, sagt er mit leuchtenden Augen. Wichtig sei vor allem, möglichst viele Menschen in den größeren Städten wie München und Nürnberg zu motivieren. Die Wähler können ihre Stimme in den Rathäusern der Städte abgeben, mehr Informationen dazu hier. Hier in Bayreuth wollen die Summer es schaffen, rund 10.000 Stimmen für die Insekten zu sammeln.
Dafür mobilisieren sie an allen Ecken: Sie verteilen Flyer, hängen Plakate auf, sprechen mit den Menschen. „Zurzeit fahre ich mit dem Rad wahrscheinlich 40 Stundenkilometer und hetze von hier nach dort“, sagt Thomas Pickel lachend. Vor einigen Tagen hat er für eine Radioshow mit dem Pressesprecher des Bayerischen Bauernverbandes, Markus Peters, gesprochen. Die Bauern sind derzeit der wohl schärfste Gegner des Volksbegehrens. 30 Prozent Ökolandbau bis im Jahr 2030 sei nicht machbar, so die Begründung. „Das soll sich auf keinen Fall gegen die Bauern wenden. Im Gegenteil, es soll den Staat zum Umdenken und Umlenken in der Landwirtschaft bringen“, sagt Pickel.
Dass 30 Prozent ökologische Landwirtschaft sehr wohl möglich seien, sei am Beispiel Österreich abzulesen: Dort seien es mittlerweile etwa 25 Prozent. Durchgesetzt wurde das dadurch, dass etwa Kantinen von Schulen, Behörden und Firmen rechtlich dazu verpflichtet wurden, ökologisch angebaute Lebensmittel zu verwenden. „Wir zerstören die wertvollen, artenreichen Kulturflächen momentan, weil wir alles totspritzen und intensivieren“, sagt Pickel. „Das Volksbegehren ist ein verzweifelter Versuch, etwas zu ändern. Die Politik macht ja nichts, die schauen immer noch nur zu.“
Rund 44% der Landfläche Bayerns werden landwirtschaftlich genutzt, bisher sei die Agrarwirtschaft auch noch recht kleinteilig in dem süddeutschen Bundesland. Dennoch – das Artensterben ist in landwirtschaftlichen Bereichen besonders groß. Im Grunde ist aber auch den bayerischen Bauern auch klar, dass sich etwas ändern muss in Sachen Artenschutz.
Immer wieder winken Studierende am Campus Thomas Pickel zu, rufen etwas herüber oder fragen ihn etwas wegen des Volksentscheids. Er grinst unter seiner Schirmmütze hervor und freut sich, dass so viele andere sich auch für das Wohl der Natur interessieren und einsetzen. „Wir müssen unseren Kindern doch eine schöne Welt hinterlassen und nicht wie die Generationen vor uns denken „Nach uns die Sintflut“ und sich um nichts kümmern. Uns geht es darum, zukunftsfähig und nachhaltig zu sein. Wir wollen unsere Erde nicht kaputt machen!“
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